Richtfest für den Neubau Kernchemie auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gefeiert

Nur rund 16 Monate nach dem symbolischen Spatenstich ist der Rohbau des neuen Labor- und Bürogebäudes für die Kernchemie mit dem Forschungsreaktor TRIGA Mainz an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) fertiggestellt. Beim Richt-fest am 9. November würdigten Wissenschaftsminister Clemens Hoch, Finanzstaatssekretär Dr. Stephan Weinberg, JGU-Kanzlerin Dr. Waltraud Kreutz-Gers und der Geschäftsführer des Landesbetriebs LBB Holger Basten die Bedeutung des Neubauprojekts, das von der LBB-Niederlassung Mainz geleitet wird.

MAINZ – Rund 43,5 Millionen Euro investiert das Land Rheinland-Pfalz in modernste bauliche Voraussetzungen für die Erforschung radioaktiver Stoffe an der JGU, sowohl in der Grundlagenforschung als auch anwendungsbezogen. Die Universität kann damit ihre internationale Spitzenforschung in diesem Feld weiter ausbauen.

Fertigstellung für Ende 2023 geplant
Der zweigeschossige Trakt mit einem zurückgesetzten Technikgeschoss entsteht neben dem Kernchemie-Erweiterungsgebäude aus dem Jahr 2008 und wird baulich mit diesem verbunden. In dem Neubau finden Labore für die wissenschaftliche Arbeit mit radioaktiven Isotopen (Radionukliden), Mess- und Auswertungsräume, Werkstätten, Seminarräume und Büros mit insgesamt rund 2.000 Quadratmetern Platz. Vom Untergeschoss aus stellt ein Verbindungstunnel den Zugang zum Forschungsreaktor her. Voraussichtlich Ende 2023 soll der Neubau das zeitgleich mit dem Forschungsreaktor TRIGA Mainz errichtete Labor- und Institutsgebäude aus den 1960er-Jahren ersetzen.

„Das Richtfest für diesen Neubau ist das dritte Richtfest innerhalb von zwei Monaten, das hier in Mainz gefeiert werden kann. An der beachtlichen Investition von ca. 180 Millionen Euro für diese drei großen Baumaßnahmen allein hier in Mainz ist der Stellenwert des Hochschulbaus in Rheinland-Pfalz und für die Landesregierung zu erkennen. Der Ausbau und die Modernisierung der Hochschulen als zukunftstaugliche Stätten für Ausbildung, Wissenschaft und Forschung sind die Basis für eine gute Zukunft des Landes und unsere Gesellschaft“, sagte Finanz- und Baustaatssekretär Dr. Stephan Weinberg.      

Forschungsreaktor TRIGA Mainz
Rund 100 Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und weitere Beschäftigte finden in dem Neubau eine neue Wirkungsstätte. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Chemie und Physik der schwersten Elemente, Angewandte Radiochemie und Radioanalytik, Forschung mit ultrakalten Neutronen sowie die für die Nuklearmedizin relevante Radiopharmazeutische Chemie. In dem vom Bund geförderten Exzellenzcluster PRISMA+ (Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter) der JGU spielt der Forschungsreaktor TRIGA Mainz unter anderem als leistungsstarke Quelle für ultrakalte Neutronen eine zentrale Rolle für nationale und internationale Forschergruppen. Zudem werden am TRIGA Mainz umfassende Ausbildungs- und Trainingsprogramme in den Bereichen Kernchemie, Radiochemie und Reaktorphysik sowie im Strahlenschutz für Wissenschaftler, Studierende, Lehrende, Ingenieure und Techniker durchgeführt.

„Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist eine der wenigen Einrichtungen in Deutschland, in der die Kernchemie seit Jahrzehnten eine herausragende Rolle einnimmt, denn sie ist die größte kernchemische Einheit an einer deutschen Hochschule. Hier werden fundamentale Fragen zum Aufbau und der Grenze der Materie erforscht. Internationale Spitzenforschung gelingt, wenn hochmotivierte Forscherinnen und Forscher in einer modernen Infrastruktur arbeiten können. Der neue Bau der Kernchemie bietet diese Voraussetzungen“, so Wissenschaftsminister Clemens Hoch. Die Landesregierung trage durch die finanzielle Unterstützung dazu bei, die Rahmenbedingungen für herausragende Forschung kontinuierlich fortzuentwickeln. Damit werde die internationale Strahlkraft der Mainzer Universität weiter ausgebaut und wichtige Impulse zur Lösung komplexer Herausforderungen in Wissenschaft und Gesellschaft gesetzt. Die Kernchemie sei dafür ein besonders gutes Beispiel, so Hoch.

Innovatives Verfahren im Hochschulbau
„Der Neubau für die Kernchemie verbindet räumlich zwei wichtige Forschungsinfrastrukturen der JGU: den Forschungsreaktor TRIGA, der als einzigartige wissenschaftliche Einrichtung vielen Forschenden national und international als Neutronenquelle zur Verfügung steht, und das Zyklotron, das als Teilchenbeschleuniger für organische Chemie, Pharmazie und Nuklearmedizin der Erforschung und Herstellung von Radiopharmaka dient und den lebenswissenschaftlichen Schwerpunkt der JGU verstärkt“, erklärt Dr. Waltraud Kreutz-Gers, Kanzlerin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Der Neubau steht aber auch für neue, innovative Verfahren im Hochschulbau, bei denen ein Generalplaner in enger Abstimmung mit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern den Neubau geplant hat und der Neubau selbst erst nach einer Phase der Inbetriebnahme, bei der die technische Funktionsfähigkeit des Gebäudes eingehend geprüft wird, der Universität übergeben wird. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass moderne Forschungsgebäude heutzutage eine technische Infrastruktur mit dem sie umgebenden Baukörper darstellen.“

In planerischer und baulicher Hinsicht meistert das Projekt mehrere Herausforderungen. Städtebaulich galt es, die gleichen Flächen und Flächeneigenschaften wie im Altgebäude sowie ergänzende, strahlenschutzrechtlich erforderliche Räumlichkeiten auf der sehr begrenzten Freifläche des Kernchemie-Geländes unterzubringen. Das gelingt durch einen kompakten Bau mit Kantenlängen von rund 50 mal 30 Meter, der das Baufeld am Jakob-Welder-Weg optimal nutzt. Der Neubau übernimmt die Straßenflucht und die Höhenstaffelung des benachbarten Laborgebäudes, mit dem er durch einen zweigeschossigen Zwischenbau verbunden ist. So entsteht ein zusammengehörendes Ensemble.

Helligkeit und angenehmes Raumgefühl
Die Trennung der strahlenschutztechnisch relevanten Bereiche (Überwachungsbereich) von den übrigen Räumen zieht sich durch alle Ebenen vom Untergeschoss bis ins Technikgeschoss. Beide Bereiche müssen aufgrund strahlenschutzrechtlicher Anforderungen teilweise mit eigener und zudem redundanter technischer Infrastruktur und Leitungssystemen ausgestattet werden, inklusive getrennter Lüftungszentralen. Vom Haupteingang führt ein lichtdurchflutetes gemeinsames Foyer in beide Bereiche und übernimmt somit die Erschließung des gesamten Ensembles. Die Büroräume gruppieren sich um einen begrünten Innenhof.    

 „Bauen für die Wissenschaft heißt ,form follows function‘“, sagte Constanze Tibes, Projektleiterin bei der als Generalplaner beauftragten DGI Bauwerk Gesellschaft von Architekten mbH. „Der Ersatzneubau für das ursprüngliche Labor- und Bürogebäude der Kernchemie setzt in funktionaler und gestalterischer Hinsicht das bestehende Ensemble fort. Bauen für die Wissenschaft heißt aber auch Bauen für die Zukunft und die Menschen, die an ihr arbeiten. Deshalb sind insbesondere Transparenz, Helligkeit und ein angenehmes Raumgefühl wichtig. Beispielsweise erhält das Foyer von beiden Seiten Tageslicht und der neue unterirdische Verbindungsgang zum TRIGA Mainz eine großzügige Verglasung in der Dachdecke.“ 

Prof. Dr. Tobias Reich, Prodekan des Fachbereichs 09 (Chemie, Pharmazie, Geographie und Geowissenschaften) sagte: „Bereits mit dem Forschungsreaktor TRIGA Mainz, dem 2008 bezogenen Erweiterungsbau Kernchemie und dem 2016 in Betrieb genommenen Teilchenbeschleuniger Zyklotron verfügen die Johannes Gutenberg-Universität Mainz, ihr Fachbereich 09 und das Department Chemie über eine in Deutschland einzigartige Infrastruktur für das Arbeiten mit radioaktiven Stoffen in der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung. Mit dem Neubau Kernchemie werden die Rahmenbedingungen dafür zukünftig noch besser sein. Die über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freuen sich schon auf die künftig im Fritz-Straßmann-Gebäude zur Verfügung stehenden exzellenten Bedingungen für Lehre und Forschung.“

Decken tragen bis 2 Tonnen pro Quadratmeter
Seinem Zweck entsprechend erfüllt der Stahlbeton-Massivbau spezielle Anforderungen. Dort, wo später mobile Bleiabschirmungen zum Einsatz kommen, haben die Geschossdecken eine Tragkraft von bis zu 2000 Kilogramm pro Quadratmeter – rund viermal so viel wie bei sonstigen Laborgebäuden. Auch bestimmte Stahlbetonbauteile und Innenwände erfüllen Abschirmfunktionen. Um künftige Änderungen in der Raumaufteilung flexibel zu ermöglichen, wurden die Decken statisch so ausgelegt, dass keine Unterzüge (wie Deckenbalken eingezogene Stahlbetonträger) erforderlich sind.

LBB-Geschäftsführer Holger Basten sagte: „Diesen einzigartigen Forschungsneubau haben die beteiligten Planerinnen und Planer, die Ansprechpartner der Kernchemie als engagierte Nutzer, die Firmen mit einer baulichen Umsetzung auf höchstem Niveau und das Projektteam der LBB-Niederlassung Mainz hervorragend gemeistert. Beispielhaft für die hohen und speziellen Anforderungen sind die besondere Stahlbetonkonstruktion mit ihrer Abschirmfunktion, die schwerlastfähigen Decken und der lückenlose Erschütterungsschutz für den Forschungsreaktor und das Bestandsgebäude während der gesamten Bauzeit zu nennen.“

Forschungsbetrieb läuft normal weiter  
Der Betrieb des TRIGA Mainz läuft während der gesamten Bauphase weiter. Dies stellt in Kombination mit den notwendigen baulichen Eingriffen in den Bestandsbauten sowohl für die Nutzer als auch für das Bauteam eine ganz besondere Herausforderung dar. Für den Forschungsreaktor mit seinen oberirdischen und unterirdischen Bauteilen werden besondere Sicherheitsvorkehrungen, unter anderem ein permanentes Erschütterungsmonitoring und umfangreiche Maßnahmen zum Einbruchsschutz vorgehalten. Zugänge und Zufahrten sowie die technischen Anlagen bleiben in Betrieb, bis der Umzug aus dem alten Laborgebäude erfolgt ist. Dann wird der Altbau technisch abgeschottet und der Neubau muss aufgrund des fortlaufenden Forschungsbetriebs schnellstens in Betrieb gehen. Damit dieser „Umschluss“ reibungslos vonstattengehen kann, wurde unter anderem eine eigene Fachplanung Technisches Inbetriebnahme-Management beauftragt. Der begehbare Tunnel führt vom Untergeschoss des Neubaus direkt zum bisherigen Verbindungsbau mit dem Reaktorkomplex. Dieser Verbindungsbau wird so umgebaut und erweitert, dass darin alle Anschlüsse zum Neubau installiert und getestet werden können, bevor „der Hebel umgelegt“ wird.

Die äußere Gestaltung des Gebäudes lässt Funktionen dahinter erkennen: Die Fassade des strahlenschutzrelevanten Überwachungsbereichs besteht analog zum Nachbargebäude aus großformatigen durchgefärbten Betonfertigteilen und farblich akzentuierten Fensterbändern. Die Fassade des Bürobereichs erhält einen weißen Verputz.  Im Zuge des Projekts werden am Jakob-Welder-Weg 24 neue Bäume gepflanzt, davon drei im begrünten Innenhof des Neubaus. Die Flachdächer werden - soweit möglich – extensiv begrünt.

Kernchemiker Fritz Straßmann als Namensgeber
Der Gebäudekomplex wird nach Fritz Straßmann benannt, neben Otto Hahn und Lise Meitner einer der Entdecker der Kernspaltung. Fritz Straßmann (geb. 1902 in Boppard, gest. 1980 in Mainz) hat seit ihrer Wiedereröffnung 1946 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gelehrt und geforscht und das anorganisch-chemische Institut sowie das Institut für Kernchemie aufgebaut. Er traf die Entscheidung für den Kauf und den Betrieb des Forschungsreaktors vom Typ TRIGA Mark II, den er 1967 in Betrieb nehmen konnte. Bis heute ist der TRIGA Mainz bei Forschungsteams aus aller Welt stark gefragt. Reaktorunfälle sind durch die Konzeption der TRIGA-Forschungsreaktoren aufgrund physikalischer und technischer Vorkehrungen ausgeschlossen.

Auch die Kunst am Bau würdigt Straßmann und seine Arbeit. Im Zentrum des Entwurfs „walk the line – change the view“ der Künstlerin Veronika Olma (Enkenbach-Alsenborn) stehen der Schriftzug „Ba“ für Barium in der Handschrift Fritz Straßmanns über dem Vordach des Foyers und die Zerfallskurven der radioaktiven Bariumisotope, die Otto Hahn und Fritz Straßmann bei der Entdeckung der Kernspaltung analysierten. Die Zerfallskurven werden auf dem teilweise beleuchteten Glasfußboden des Foyers zu sehen sein, außerdem erhält die 2002 von der Gesellschaft Deutscher Chemiker anlässlich des 100. Geburtstags von Fritz Straßmann verliehene Ehrentafel „Historische Stätte der Wissenschaft“ ihren Platz im Eingangsbereich. Das noch erhaltene Kunstwerk „Schwäne“ des Künstler Adam Antes, ein Bronzeguss im Rahmen der ursprünglichen Bebauung, wird als Abschluss des entstehenden Lichtteppichs integriert und schlägt so symbolisch die Brücke zu dem noch von Straßmann initiierten Bau.